Wie finanzieren wir große Projekte?

Heute dreht sich in unserem Newsletter alles ums Thema Geld. Wie stemmen wir große Projekte finanziell? Denn eine große Aufdach-PV-Anlage kostet leicht über 100.000 Euro, ein Windrad sogar deutlich über eine Million Euro. Wie soll eine ‚kleine‘ Bürgerenergiegenossenschaft, wie wir als Seeve Bürgerenergie eG eine sind, das finanzieren?

Genau zu diesem Thema haben unsere Vorstände Dr. Marcus Richter und Nathalie Boegel an einem Seminar der Bürgerwerke eG teilgenommen. Bei den Bürgerwerken sind über 120 Energiegenossenschaften deutschlandweit Mitglied (wir inzwischen auch), hier ist jedenfalls geballte Erfahrung und best practice an Bord. Den ‚Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2023‘ haben die Bürgerwerke auch gerade gewonnen. Und Marcus ist hauptberuflich Banker bei einer großen Genossenschaftsbank.

Fangen wir mit einem konkreten Beispiel an: Die Finanzierung eines Großprojekts – hier einer Windkraftanlage von einer Bürgerenergiegenossenschaft in NRW. Diese Genossenschaft hat uns ihre Unterlagen zur Verfügung gestellt, die wir hier anonymisiert darstellen:

Die Finanzierung ist also eine Mischung aus Mitgliederanteilen, Nachrang-Darlehen, Förderung und Bankkredit. Was die einzelnen Komponenten konkret bedeuten, das hat unser Banker Marcus hier aufgeschrieben:

Vorgehen zur Finanzierung von Genossenschaftsprojekten

– 1. Phase: Einsammeln von Genossenschaftsanteilen zur Stärkung unseres Eigenkapitals

Die Genossenschaftseinlagen sind die Grundausstattung unseres geschäftlichen Handelns. Die Beiträge der GenossInnen sind damit unser Eigenkapital. In einer konkreten Projektierung sammeln wir weitere Mittel ein als

  • Basis für erste Gespräche mit der Hausbank, für deren erste Bonitätseinschätzung (Rating),
  • für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs über einen denkbaren Kontokorrentkredit (neben dem Eigenkapital aus den eingezahlten Genossenschaftsanteilen)

– 2. Phase: Umsetzung eines Projekts

Sobald die Kalkulation des Projekts durchdacht ist, werden Finanzierungsgespräche mit der Hausbank über die Finanzierung des Projektes geführt. Es geht dabei zunächst um die Balance zwischen Eigen- und Fremdkapital damit die Kosten für das gesamte Projektvorhaben optimal verteilt werden.

Als ersten Baustein setzen wir echtes Eigenkapital über Genossenschaftsanteile ein. Danach folgt das Einsammeln von Nachrangdarlehen (Mezzanine = eigenkapitalähnliche Mittel, d.h. Ausweis in der Bilanz als Eigenkapital, aber in der Rangfolge haftend vor den Genossenschaftsanteilen und nach den Bankdarlehen). Parallel dazu starten die Verhandlungen über die Höhe des Bankdarlehens die den restlichen Betrag der Projektsumme abbilden.

 – Für beide Phasen gilt die goldene Bilanzregel:

„Das langfristig gebundene Anlagevermögen (hier unsere PV- oder Windkraftanlage) sind durch langfristig zur Verfügung stehendes Kapital gedeckt; kurzfristiges Vermögen (wie Forderungen oder Waren) werden über Einnahmen aus dem laufenden Geschäftsverkehr oder durch eine Betriebsmittellinie gedeckt = Zahlungsverkehr.“

– Verhältnis der einzusetzenden Mittel sollte sein: 50% Genossenschaftsanteile und Nachrangdarlehen (= Eigenkapital) und 50% Bankdarlehen = Fremdkapital); Die jeweils konkrete Aufteilung hängt vom jeweiligen Projekt und den Bankgesprächen ab.

– Nachrangdarlehen:

Darlehensgeber (Gläubiger) bekommt sein Geld im Falle der Insolvenz des Darlehensnehmers (Schuldners) erst, wenn alle anderen Gläubiger bezahlt sind und dann noch Mittel zur Verfügung stehen.

Nachrangdarlehensgeber sollten im Sinne des Kleinanlegerschutzgesetzes Genossen sein. GenossInnen sind Gesellschafter und insofern näher an unternehmensinternen Informationen und dem gesamten Projektverlauf dran als externe Kapitalgeber.

Das Verhältnis von Genossenschaftsanteilen und Nachrangdarlehen sollte mindestens bei 10% zu 90% liegen, d.h. eine NachrangdarlehensgeberIn sollte mindestens Anteile in Höhe von 10% halten bzw. in die Finanzierung einbringen.  Möchte man sich zum Beispiel mit 20.000,00 EUR an einem Projekt beteiligen, sollten mindestens 2.000,00 EUR Genossenschaftsanteile gekauft werden. Die übrigen 18.000,00 EUR können  dann als Nachrangdarlehen eingebracht werden.  

Die Genossenschaft zahlt dem Nachrangdarlehensgeber über die Laufzeit des Darlehens von mindestens 10 bis max. 20 Jahren einen festen Zinssatz unabhängig vom Unternehmenserfolg. Die Zinsen stellen für die Genossenschaft steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben dar, für den Gläubiger Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Nachrangdarlehen können Tilgungsstrukturen enthalten, sie können aber auch endfällig sein. Bei einer Tilgungsvariante sind Laufzeiten bis zu 20 Jahre denkbar, bei tilgungsfreien oder endfälligen Varianten sind eher kürzere Laufzeiten von max. 10 Jahren marktkonform.

– Bankdarlehen

Hier sind Laufzeiten in Höhe der Abschreibungsdauer der zu finanzierenden Investitionen sinnvoll und verhandelbar. Mobile Investitionsgüter werden in der Regel eher kürzer finanziert, bis zu 10 Jahre Laufzeit, immobile oder verbaute Investitionsgüter lassen sich bis zu 20 Jahre finanzieren. Bei den Bankdarlehen handelt es sich immer um Tilgungsdarlehen, das heißt, die Darlehen sind nach Ablauf der Laufzeit voll getilgt. In der Investitionsphase werden oftmals ein bis zwei tilgungsfreie Jahre eingeräumt. Die Zinsbindungsfrist sollte bei 10 Jahren liegen.

…ganz schön viel Finanz-Knowhow! Könnt Ihr noch? Es gibt nämlich noch ein Super-Programm von der BAFA – bei dem AnlegerInnen ein ‚Bonus‘ von satten 25 % gewährt wird.

Daneben gibt es gibt es noch ein weiteres interessantes Finanzierungs-Instrument, das so genannte ‚BAFA Invest Programm‘ , link: https://www.bafa.de/DE/Wirtschaft/Beratung_Finanzierung/Invest/invest_node.html .

Die Aufnahme in das Bundesprogramm haben wir bereits beantragt. Das ist für künftige Anlegerinnen und Anleger ab einer Summe von 10.000 Euro sehr interessant: Die BAFA gewährt ihnen einen Erwerbszuschuss bei direktem Anteilserwerb in Höhe von 25 Prozent. Bedeutet: Erwirbt ein neues Mitglied unserer Genossenschaft Anteile im Wert zwischen 10.000 und 200.000 Euro, gibt es kurzfristig (nach Prüfung durch die BAFA nach ca. 3 Monaten) 25 % der Summe quasi als Bonus zurück, die eingezahlte Summe bleibt in voller Höhe bestehen. Sobald wir in das Programm aufgenommen sind, werden wir ausführlich darüber informieren.

Und dann gibt es noch das Crowd-Funding, das von manchen Banken auch für genossenschaftliche Projekte angeboten wird.

Habt Ihr Fragen dazu, Anmerkungen oder Ergänzungen? Dann meldet Euch sehr gerne unter mitmachen@seeve-beg.de.

Viele herzliche Grüße vom gesamten Team,

Angelika, Aydin, Christoph, Dieter, Marcus, Nathalie, Steffen und Ulf

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